Heinz (Hein) Kohn

Heinz (Hein) Kohn

männlich 1907 - 1979  (72 Jahre)

Angaben zur Person    |    Medien    |    Ereignis-Karte    |    Alles    |    PDF

  • Name Heinz (Hein) Kohn 
    Geboren 25 Mrz 1907  Augsburg, Bayern, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort 
    Geschlecht männlich 
    Lebenslauf Heinz Kohn wurde am 25 März 1907 als Sohn des jüdischen Augsburger Tuchfabrikanten Eugen Kohn und dessen Ehefrau Hermine Hirsch geboren. Sein älterer Bruder war der Historiker Ernst Kohn-Bramstedt.
    Heinz Kohn besuchte vom 24. April 1920 bis zum 21. März 1923 das reformpädagogische Landerziehungsheim Freie Schulgemeinde in Wickersdorf bei Saalfeld im Thüringer Wald, wo er der Kameradschaft von Carl Maria Weber angehörte. Ab 1924 machte Heinz Kohn eine zweijährige Ausbildung in der Lampart’schen Verlags- und Sortimentsbuchhandlung in Augsburg. Nach dem Abschluss seiner Lehre besuchte er die Buchhändlerschule in Leipzig. Während dieser Zeit wurde er politisch aktiv und sympathisierte mit der Sozialdemokratie. Er trat in die Sozialistische Arbeiter-Jugend (SAJ) und das überparteiliche Bündnis Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ein.
    Nach seinem Examen war er für den Verlag Volksstimme der SPD tätig, danach als Buchverkäufer für das Verlagshaus der Norddeutschen Volksstimme in Bremerhaven, später als Herausgeber bei der Büchergilde Gutenberg in Berlin.
    1930 heiratet er Rosel Sirch, mit der er zwei Söhne haben wird, Werner Rudolf und Menno.

    Ab 1930 war er auch Filmkritiker für die sozialistische Tageszeitung Hamburger Echo. Zusammen mit seinem Freund Friedrich Oetinger übernahm er die Leitung der Heinrich Heine-Buchhandlung in Hamburg, die beide sehr erfolgreich führten. Sie gaben Schriften heraus, die sich gegen den Nationalsozialismus richteten, 1931/32 auf der Basis ihnen zugespielter Briefe das Enthüllungsbuch Liebesbriefe des Hauptmann Röhm.
    Nach der Machtabtretung an die Nationalsozialisten flüchtete Heinz Kohn am 5. Mai 1933, fünf Tage vor den reichsweiten Bücherverbrennungen, in die Niederlande. Dabei erhielt er, der keinen Reisepass besaß, Hilfe durch seinen Augsburger Schulfreund Paul Baumgärtner, der bei der Nederlandsche Seintoestellen Fabriek (NSF) als Ingenieur beschäftigt war. Vorausgegangen waren das Ermächtigungsgesetz, die Verbote oppositioneller Parteien, vieler Presseorgane, der Gewerkschaften, das Auftritts- und Arbeitsverbot für jüdische Schauspieler, Sänger und Schriftsteller, der Boykott jüdischer Geschäfte, die Eröffnung des ersten Arbeitslagers für Oppositionelle in Dachau und der Ausschluss u. a. jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst.

    In den Niederlanden kam Heinz Kohn zusammen mit seiner Ehefrau Rosel zunächst bei seinem Schulfreund Paul Baumgärtner in Hilversum unter, bevor er eine eigene Wohnung beziehen konnte.[Dort passte er seinen Vornamen an den niederländischen Sprachgebrauch an und verkürzte ihn auf „Hein“.
    Beim niederländischen Rundfunksender VARA (= Vereinigung der Arbeiter-Radioamateure), in den ihn Paul Baumgärtner in dessen Funktion als Mitglied der technischen Kommission eingeführt hatte, traf er den deutschen Sänger Ernst Busch und entschloss sich, das von diesem gesungene Solidaritätslied (Text: Bertolt Brecht, Musik: Hanns Eisler) zusammen mit weiteren Liedern Buschs zu veröffentlichen. Das durch Kohn gedruckte Gedicht wurde als Handout an Besucher musikalischer Auftritte Ernst Buschs überreicht.
    Nach dem Vorbild der Büchergilde Gutenberg gründete er im Januar 1934 zusammen mit dem niederländischen Dichter Martinus „Martien“ Beversluis (1894–1966), den er bei Zusammenkünften des Autorenkollektivs der Zeitschrift Links Richten kennengelernt hatte, den Exilverlag Boekenvrienden Solidariteit (= Bücherfreunde Solidarität), der bis 1936 unter dieser Bezeichnung Bücher verlegte. Der Name des Verlags wurde von Brechts Solidaritätslied abgeleitet. Boekenvrienden Solidariteit unterschied sich von den Amsterdamer Exilverlagen Querido und Allert de Lange, die primär auf Bücher für den deutschsprachigen Markt setzten, durch eine strikt antifaschistische und pazifistische Ausrichtung und das Ziel, sehr preiswerte Bücher internationaler Autoren in niederländischer Übersetzung für Angehörige der Arbeiterklasse aufzulegen, außerdem durch seine rasche Integration in das niederländische Verlagswesen. Dadurch entsprach Kohns Anliegen denen der niederländischen Verlage De Arbeiderspers und Wereldbibliotheek, mit denen er in der Folge in Kontakt stand.

    Für seine Veröffentlichungen nahm Kohn sich Reclams Universal-Bibliothek und den Bernhard Tauchnitz Verlag als Vorbilder. Beversluis übersetzte die deutschsprachigen Autorentexte für den Verlag häufig ins Niederländische. Schon das erste von Kohn verlegte Buch Brandende Woorden (= Verbrannte Worte) wurde zu einem Bestseller. Darin wurden antinazistische Gedichte von in Deutschland verbotenen Schriftstellern, Erich Arendt, Oskar Maria Graf, Erich Kästner, Johannes R. Becher, Emil Ginkel (1893–1959), Alfred Kerr, Käthe Kollwitz, Walter Mehring, Max Ophüls, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Erich Weinert und Erhard Winzer, abgedruckt.
    Kohns Verlag Boekenvrienden Solidariteit war darauf ausgelegt, pro Jahr zwölf Publikationen zu veröffentlichen, die von potenziellen Kunden entweder im Abonnement für 50 niederländische Cent bezogen werden konnten oder im Einzelverkauf für 75 Cent zu erwerben waren. Um Leser wurde durch Literaturagenten geworben, die insbesondere Sozialdemokraten bzw. Gewerkschaftsmitglieder gehobener Bildung im Fokus hatten. In der Anfangszeit verlegte Kohn Broschüren mit einem Umfang von rund 50 Seiten. Ende 1935 zählte Boekenvrienden Solidariteit rund 600 Abonnenten und weitere 380 einzeln verkaufte Publikationen pro Monat. Zwei Probleme machten dem Verlag zu schaffen: Etwa ein Drittel seiner Abonnenten zahlten nicht bzw. nicht fristgerecht. Die Zahl seiner Abonnenten stagnierte, denn Kohn setzte seinen literarischen Anspruch im Hinblick auf die von ihm angepeilte Zielgruppe der Arbeiter etwas zu hoch an.
    Kohn legte stets großen Wert darauf, dass seine Publikationen mit einem gepflegten Erscheinungsbild in die Hand seiner Leser gerieten, was sich sowohl in der Ausstattung als auch durch eigens verpflichtete namhafte Illustratoren für die Titelseite zeigte, beispielsweise Adolf Blitz, George Grosz, Albert Hahn jun. (1894–1953), Käthe Kollwitz, Hildo Krop (1884–1970), Meijer Bleekrode, Frans Masereel, Wybo Meijer, Melle Oldeboerrigter (1908–1976, unter seinem Vornamen bekannt) und Willem van Schaik.
    Nach der Auflösung des Verlags Boekenvrienden Solidariteit, verursacht durch pekuniäre Probleme mit dem Geschäftspartner Jan Hilvers (1886–1956), gründete Kohn 1936 den Verlag Het Nederlandsche Boekengilde (= Die niederländische Büchergilde). Dieses Unternehmen zählte in der Folge neben dem aufgrund seiner geschäftlichen Interessen im Deutschen Reich unpolitisch agierenden Allert de Lange Verlag und dem in dieser Hinsicht mutigeren Querido Verlag zu den drei bedeutendsten Exilverlagen, die während der NS-Zeit in den Niederlanden publizierten.
    Rund 75 Bücher gaben Kohns Verlage in niederländischer Sprache heraus, bevorzugt solche von Autoren, deren Werke von den Nationalsozialisten im Deutschen Reich verbrannt bzw. verboten worden waren. Dazu zählten beispielsweise Werke von Erich Arendt, Alain-Fournier, Arkadi Timofejewitsch Awertschenko, Isaak Babel, Henri Barbusse, Johannes R. Becher, Karel Capek, Wolfgang Cordan, Ilja Ehrenburg, Albert Einstein, Konstantin Alexandrowitsch Fedin, Lion Feuchtwanger, Anatole France, Maxim Gorki, Oskar Maria Graf, Martin Gumpert, Georg Hermann, Max Hodann, Bruno Jasienski, Oskar Jellinek, Erich Kästner, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Alfred Kurella, Andreas Latzko, Thomas Mann, Walter Mehring, Konrad Merz, Martin Andersen Nexø, Max Ophüls, Ernst Ottwalt, Theodor Plievier, Ludwig Renn, Romain Rolland, Anatol Rosenfeld, Ignazio Silone, Upton Sinclair, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Iwan Sergejewitsch Turgenew, Erich Weinert und Arnold Zweig.
    1939 legte Kohn eine niederländische Übersetzung des Dreigroschenromans von Brecht auf, allerdings im Rahmen des Labels Hollandsche Uitgeversmaatschappij als Nr. 51 und Nr. 52 der Reihe Het Nederlandsche Boekengilde.
    Während und nach dem Überfall auf die Niederlande durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1940 fielen eine große Anzahl der für den Buchvertrieb wesentlichen Literaturagenten aus. Kohn vernichtete sämtliche Archivbestände seines Verlags, um seine Autoren und Mitarbeiter so gut wie möglich vor einer NS-Verfolgung zu schützen.
    Im Jahr 1942 wurde er bei einer Razzia festgenommen und aufgrund seines Status als Ehepartner in einer so bezeichneten Mischehe zur Arbeit in einem an den deutschen Fliegerhorst Havelte angegliederten Arbeitslager in der Provinz Drenthe verpflichtet, wo er beim Bau einer kleinen Eisenbahnstrecke eingesetzt war. Aus diesem Arbeitslager wurde er dank des Attests eines Hilversumer Arztes entlassen. Er ging in die Illegalität, tauchte in seinem eigenen Haus unter und kam auf diese Weise trotz einiger gefährlicher Situationen unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzungszeit. Während dieser Phase agierte er als Berater für illegale Buchausgaben, beispielsweise für den Verlag De Bezige Bij.
    Nach Kriegsende arbeitete er zunächst für den Buchimporteur und -Distributor van Ditmar, dessen Verlagsabteilung Kohn begründete. Seine Kontakte nach Deutschland reaktivierte er und war 1949 bei der ersten Frankfurter Buchmesse der Nachkriegszeit dabei.
    Im Jahr 1951 gründete er das Internationaal Literatuur Bureau (= Internationales Literaturbüro) in Amsterdam. Dazu griff er auf sein literarisches Netzwerk zurück, darunter auf deutsche Schriftsteller wie Bertolt Brecht und Thomas Mann sowie den Verleger Peter Suhrkamp, mit dem er einen thematischen Anknüpfungspunkt hatte – die frühere Zugehörigkeit zur Freien Schulgemeinde in Wickersdorf. Suhrkamp war dort 1920/21 der Deutschlehrer von Heinz Kohn gewesen. Mit Hilfe dieses Netzwerks brachte er nach dem Krieg den Niederländern die deutsche Literatur wieder nahe – Kohn vermittelte ab den 1950er Jahren einen Großteil der deutschen Literatur in die Niederlande. Im Jahr 1962 vermittelte Kohn die Rechte für die Übersetzung und Aufführung von Brechts Der gute Mensch von Sezuan in friesischer Sprache. Selbst zwischen west- und ostdeutschen Verlagen bemühte er sich um Vermittlung, so erreichte er beispielsweise 1969 die Veröffentlichung einer Lizenzausgabe von Elias Canettis Die Blendung (Carl Hanser Verlag) beim DDR-Verlag Volk und Welt. Niederländischen Autoren erleichterte er den Zugang zum deutschen Literaturbetrieb. Darüber hinaus vertrat er jedoch auch anderssprachige Literatur, z. B. schwedische von Astrid Lindgren.
    Hein Kohn verstarb am 1. Oktober 1979 im Alter von 72 Jahren. Ein Teil seines Nachlasses wird im Deutschen Exilarchiv aufbewahrt, darunter seine Korrespondenz mit David Luschnat.
    Vorher war das Internationaal Literatuur Bureau durch seinen Sohn Menno übernommen worden. Heute wird es von Heins Enkelin Linda geleitet.

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hein_Kohn (23.1.2024) 
    Gestorben 1 Okt 1979  Hilversum, Niederlande Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort 
    Notizen 
    Personen-Kennung I43445 
    Zuletzt bearbeitet am 23 Jan 2024 

    Vater Eugen Kohn,   geb. 1854, Augsburg, Bayern, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort,   gest. 5 Feb 1909, Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  (Alter 55 Jahre) 
    Mutter Hermine Hirsch,   geb. 29 Jun 1868, Jülich, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort,   gest. 31 Okt 1940, Hilversum, Niederlande Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  (Alter 72 Jahre) 
    Familien-Kennung F8375  Familienblatt

    Familie Rosel Sirch,   geb. 5 Dez 1904, Augsburg, Bayern, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort,   gest. 5 Okt 1969, Hilversum, Niederlande Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  (Alter 64 Jahre) 
    Kinder 
     1. Werner Rudolf Kohn,   geb. 5 Sep 1935, Hilversum, Niederlande Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort,   gest. 24 Mrz 1917, Bergisch-Gladbach, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort
    +2. Lebend
    Zuletzt bearbeitet am 23 Jan 2024 
    Familien-Kennung F8647  Familienblatt

  • Ereignis-Karte
    Link zu Google MapsGeboren - 25 Mrz 1907 - Augsburg, Bayern, Deutschland Link zu Google Earth
    Link zu Google MapsGestorben - 1 Okt 1979 - Hilversum, Niederlande Link zu Google Earth
     = Link zu Google Maps 
     = Link zu Google Earth 
    Pin-Bedeutungen  : Adresse       : Ortsteil       : Ort       : Region       : (Bundes-)Staat/-Land       : Land       : Nicht festgelegt

  • Fotos
    Hein Kohn
    Hein Kohn
    Hein Kohn in Hilversum, 1950er Jahre
    (wiki commons)



Brought to you by the genealogy team at the Jewish Museum Hohenems http://www.hohenemsgenealogy.at