Salomon Sulzer (Levi)

Salomon Sulzer (Levi)

männlich 1804 - 1890  (85 Jahre)

 

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Erinnerungen an Salomon Sulzer Von Ludwig August Frankl Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums", 15. Januar 1891

"Erinnerungen an Salomon Sulzer
Von Ludwig August Frankl
Am 17. d. Mts. ist es ein Jahr, daß Salomon Sulzer zur Erde bestattet wurde.
Er war eine Stimme seines Volkes, denn nicht in dem Tempel in Wien allein wurde sie über ein halbes Jahrhundert vernommen, seine 'Zionsgesänge' ertönten in allen jüdischen Gotteshäusern der Erde, in denen sie nicht verhallen werden.
Seine mächtige, durch Kunst vollendete Stimme erschütterte, erhob und entzückte aber auch nicht allein seine Glaubensgenossen. Der Erzbischof und Patriarch von Venedig, der auch als Dichter berühmte Ladislaus Pyrker, unterließ es nicht, wenn er nach Wien kam, Sulzer zu besuchen, um ihn Lieder singen zu hören, namentlich aber die Beethoven'sche 'Allmacht', damit er, nach seiner Äußerung 'zu tiefer Andacht gestimmt werde'. Franz Schubert, der unsterbliche Liederkomponist, veranlaßte ihn, unter anderen Liedern auch den von ihm komponirten 'Wanderer' vorzutragen, was Sulzer auf die Bitte Schubert's dreimal hintereinander wiederholen mußte. 'Jetzt erst', sagte Schubert, 'verstehe ich meine eigene Musik und was ich gefühlt habe, als ich die Worte:
Ich wandre still, bin wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer, wo?
betont habe. Franz Liszt, nachdem er an einem Freitag Abend Sulzer im Tempel gehört hatte, kam in seine Wohnung, um ihn zu bitten, ihm echt nationale altjüdische Weisen vorzusingen. 'Man versinkt,' äußerte Liszt, 'in einem Abgrund von Melodien, wenn man diesen Sänger hört.' Nikolaus Lenau, der Dichter, geniale Geiger und intensive Musikkenner, schrieb in einem mir vorliegenden, vom 14. März 1836 datirten Briefe wie folgt: 'Mein Leben ist jetzt ganz kunstbewegt. Fast kein Tag vergeht, der mir nicht irgend einen herrlichen Genuß bringt. So hörte ich heute Abends den Vorsänger der hiesigen Synagoge, Sulzer, der sehr wahrscheinlich die schönste Stimme in Deutschland hat. Meine vom Stuttgarter Hofschauspieler Schmidt komponirten 'Schilflieder' waren mir sehr willkommen für diesen herrlichen Sänger.' Auch die berühmten Sänger der italienischen Hofoper kamen um Sulzer zu hören. Sie suchten ihn in ihrer Bewunderung zu verlocken, sich der Bühne zu widmen. In der ihm eigenen schalkhaft humoristischen Weise erwiderte Sulzer: 'Was möchte Gott dazu sagen?' Aber seine unvergleichlich schöne Stimme war es wohl nicht allein, was die italienischen Sänger bestimmte, ihn für die Bühne zu gewinnen. Sein Vortrag war ein eminent dramatischer. Man verstand ihn, wenn ihn auch ein der Sprache Unkundiger hörte. Seine Phantasie war nicht ohne schauspielerische Begabung. Zorn und Demuth, Andacht und Zerknirschung hallten nicht allein in seinem Gesange wieder, sie spiegelten sich in seinen Gesichtszügen und gaben sich in seiner ganzen Bewegung kund. Man glaubte ihm, daß er selbst immer wieder, wenn er oft Gesungenes wiederholte, in der innersten Seele erschüttert sei. Seine Brust war eine Harfe, durch deren Saiten ein Sturm der Begeisterung brauste. - Auch die regierende Kaiserin Carolina Augusta wünschte ihn zu hören und forderte ihn auf, in einem zum Besten der grauen Spitalsschwestern von ihr patronisirten Konzerte mitzuwirken. Als Sulzer erklärte, es hänge dies von der Erlaubnis seines Synagogen-Vorstandes ab, ließ die Kaiserin an diesen den Wunsch aussprechen. Der unvergessene Erfinder des ersten Tempel-Gottesdienstes in Österreich, der kaiserliche Hofjuwelier M.L. Biedermann, hatte den Muth, den Wunsch der Kaiserin mit der in tiefster Ehrfurcht ausgesprochenen Motivierung abzulehnen, daß es einem im Dienste Gottes stehenden Sänger nicht zieme, auf dem Theater zu erscheinen, doch lege er, um den möglich sich ergebenden Verlust einigermaßen zu ersetzen, 100 Dukaten in Gold für das katholisch geleitete Spital bei. Das war ein Präsident der Gemeinde in Wien vor 80 Jahren, als die Juden in Österreich noch unter mittelalterlichem Drucke lebten.
Die Wirkung der prächtigen volltönenden Bariton-Stimme Salamon Sulzer's war aber nicht allein eine phonetische, sie wurde durch seine persönliche Erscheinung sympathisch unterstützt. Mittelgroßer und schlanker Gestalt, war sein ausdrucksvoller Kopf von schwarzen Haaren, die auf die Schultern fielen, umwallt, und seine unruhigen dunklen Augen leuchteten. Wenn er am Versöhnungstage mit weißem Gewande angethan , sang, mahnte er an den Hohenpriester im Tempel zu Jerusalem, und wieder, wenn er am Erinnerungstage des Falles der heiligen Stadt Jehovas auf den Stufen der Bundeslade sitzend die Trauerlieder gesenkten Hauptes klagend vortrug, schien er selbst der Prophet zu sein, der auf den Ruinen trauerte. Am mächtigsten aber war sein Gesang, wenn er an offenen Gräbern sang. Er zerschmetterte die Seelen der Trauernden; dabei erhob er bebend die Hände und blickte, wie den Himmel anklagend, empor. Sein Beten war ein Weinen, ein herzzerreißender Jammer, der künstlerisch mächtig, aber nicht Trost und Versöhnung bringend war. Es kam vor, daß anwesende um den Todten Trauernde ohnmächtig zusammenstürzten.
Es lebte etwas vom Schauspieler in ihm. Im gesellschaftlichen Leben war er stets zu heiterem Gespräch aufgelegt, selbst voll Humor, seine Witze wurden fliegende Worte. Er liebte im außerdienstlichen Leben keine ceremonialen Gebräuche. Der Kaiser von Österreich und der Sultan von Konstantinopel schmückten ihn mit ihren Orden. Seine noch im Greisenalter lebhafte Erwartung, zum Ritter geschlagen zu werden, ging nicht in Erfüllung. Vielleicht war die zu lebhafte Betheiligung Sulzers an der Revolution des Jahres 1848 schuld daran.

Von meiner behufs der Gründnung einer Schule unternommenen Reise nach Jerusalem im Jahre 1856 zurückgekehrt, brachte ich dem von mir stets bewunderten, verehrten Freunde und langjährigen Hausgenossen, weil der den Wunsch darnach geäußert hatte, Erde aus dem Thale Josafat mit. 'Sie wird mir,' sagte er lächlend, 'unter meinen Kopf gelegt, das Auferstehen leichter machen.' Zugleich mit der Erde brachte ich ihm einen Kranz von getrockneten Blumen mit, die auf den Gräbern der Könige und Dichter geblüht haben, und begleitete sich mit folgenden Distichen:
Aus den Land, wo Zions heilige Sänger gesungen,
Von meiner Pilgerfahrt bring' ich die Blumen ins Haus;
Eingerahmt vom Aste des Ölbaums sind sie verwelkt schon,
Trauernd, weil dem Kranz fehlte das würdige Haupt.
Dir dem modernen Zionssänger, sei er gewidmet,
Und es blühet vielleicht wieder der welkende auf.
Noch einmal, an seinem 82. Geburtstage, richtete ich eine Verse an ihn, welche, wie die voranstehenden, bisher ungedruckt geblieben sind.
Wenn du die 'Allmacht' singst, betont vom unsterblichen Meister,
Welcher lange Jahre bei den Unsterblichen wohnt,
Und wenn des Königs Psalmen von deinen Lippen erklangen,
Schwangen die Herzen sich mit betend zum Himmel empor.
Ruhen werden wir bald, die du begeistert, erhoben,
Deines Namens Klang lebt dann als Echo noch fort.
Mythisch wirft du sein, und uns beneidet die Nachwelt,
Die den Wohlklang gehört, der in der Brust dir gewohnt.

Es war ein kalter Wintermorgen am 17. Januar 1889 (sic!). Die schmale Seitenstettengasse, ehemals Katzensteig genannt, in Wien, füllte sich mit zahllosen Menschen, die des Leichenbegängnisses Sulzers harrten und nur dann auseinander gedrängt werden konnten, wenn immer wieder Männer und Frauen mit kostbaren Kränzen kamen, um sie dem Todten auf den Sarg zu legen. Dieser aber war nicht in der Wohnung aufgebahrt und man sagte mir, daß er im Tempel selbst zur Einsegnung bereit liege. Ich begab mich dahin. Die Säulen und die Bundeslade waren schwarz verhängt. Auf der obersten Stufe zu derselben ruhte der von schwarzem Tuch umhüllte Sarg des Hingeschiedenen, über ihm brannte die ewige Lampe.
Niemand in dem weiten Raume: nur ich mit dem Todten allein. Mich ergriff eine tiefe Rührung, ihn jetzt so still, so verstummt für immer an der Stelle liegen zu sehen, wo er vor der Gemeinde die Thorarolle, diese pergamentene Siegesfahne Israels, ausbreitend hoch erhob und wie im Triumphe sang: 'Das ist die Thora!' Das mächtige Bild stand plötzlich lebendig vor meiner Seele; es hieß mich die Kniee beugen vor dem Sarge, und zu Thränen erschüttert, drückte ich zum Abschied meine Lippen auf denselben.

Vor wenigen Monaten hat der Sohn Sulzers, ein Virtuosen-Cellist und Mitglied des kaiserlichen Operntheaters, den musikalischen Nachlaß seines Vaters veröffentlicht und dessen Biographie in Aussicht gestellt. Die Gemeinde hat ihrem Meistersänger ein weithin sichtbares Grabdenkmal errichten lassen, auf welchem wir nur die Anbringung einer griechischen Lyra für völlig ungeeignet halten, zumal die von einem Palmenzweig zu umwindende Davidsharfe das einzig richtige Symbol auf diesem Grabe gewesen wäre."


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